Klar statt verführbar

„Schreiben heißt finden, was in dir lebt“

ist der Titel eines von mir gestalteten kreativen Buches. Ich habe aus einem alten Buch ein Neues gestaltet. Zum Notieren, zum Inspirieren, zum Nachdenken und Freuen. Was lebt in mir? Was lebt in uns?

 

Tatsächlich finde ich durch intuitives Schreiben immer wieder aufs Neue heraus was in mir lebt. Und manchmal auch was in mir beginnt zu sterben. In dem Moment, in dem ich durchs Schreiben diese Klarheit gewinne, kann ich anders auf mein Innenleben schauen. Ich bekomme mit, dass es okay ist, wenn manches stirbt und wie viel Leben in mir dadurch auch wieder entsteht. Das Leben ist ein großer Abenteuerspielplatz hat meine liebe Freundin mal zu mir gesagt. Das Innenleben auch. Finden was in mir lebt. Für mich die spannendste Art aufs Leben zu schauen überhaupt.

Welches Verhalten ist von welchen Mustern gesteuert?

Worum geht es bei all dem?

Anerkennung, geliebt werden, gesehen werden, GlückBewusstsein?

Verbunden sein, Autonomie, Freiheit? Ein bisschen von allem?

Und was braucht es um herauszufinden, was in mir lebt?

Ich kann auf diese Frage nur für mich immer versuchen Antworten zu finden. Antworten, die heute völlig klar sind und nächste Woche schon wieder anders sein können. Denn auch das, glaube ich inzwischen, für mich verstanden zu haben: Klarheit ist immer jetzt. Und die Klarheit kann sich ändern, je nachdem was ich in mir finde, wie sich die Welt zeigt und was ich erlebe und erfahre. Es geht vielleicht weniger um starre Prinzipien, sondern mehr um klare Haltungen. Die wachsen mit uns. Manchmal werden sie auch erwachsen oder entwachsen einem kindlichen Teil in uns. Ich persönlich freue mich immer sehr darüber, wenn meine Haltungen wachsen und ich mitbekomme was da so passiert in meinem Innenleben.

 

Klarheit fühlen und sie benennen. Eine Haltung zu entwickeln. Im Außen, auf eine ganz bestimmte Art und Weise, machen dies gerade sehr viele Menschen. Die Social-Media-Welt ist voll von Mitmenschen, die Haltungen haben. Häufig sind es Haltungen, zumindest nehme ich das so wahr, die andere Leute verführen sollen. Ich stelle tatsächlich in Frage, ob es den meisten Menschen, die sich selber, ihre Produkte, ihre Marken und Einstellungen dort zeigen, wirklich um das Wohl der anderen geht? Oder geht es eigentlich um einen Selbst? Geht es darum Bedürfnisse in anderen zu wecken? Geht es darum den Selbstoptimierungskreislauf in Gang zu setzen? Darzustellen, dass man glaube das richtige „Produkt“ zu haben, um gut, gesund, erfolgreicher, weniger gestresst,... durchs Leben zu kommen?

 

Ist Verführung und Verführbarkeit die große Herausforderung unserer Zeit?

 

Klaro, bei Werbung ging es schon immer nur genau darum: Bedürfnisse zu wecken, die anderen Menschen noch gar nicht bewusst waren, dass sie sie hatten. Letztlich ist das ganze Social-Media-Ding ja nichts anderes, nur in einem viel größeren Ausmaß und man muss sich eben nicht mehr bewusst entscheiden, wonach ich suchen möchte, sondern das macht „netterweise“ ein Algorithmus für uns. Und ja, ich weiß auch, dass es viele Menschen gibt, die möchten ihre Erfahrungen teilen und von Herzen andere Menschen einladen und inspirieren, sich z.B. auf die eigene Innenreise zu begeben. Das möchte und wünsche ich mir ja wirklich auch.

 

Doch ist diese Verführung auf allen möglichen Kanälen nicht vielleicht eine Sackgasse in die wir als Menschen laufen? Leben ist doch immer das was im gegenwärtigen Augenblick stattfindet. D.h. mein Leben findet gerade nur in diesem Moment statt. Der Moment in dem ich an einem alten Schreibtisch sitze, mit meinen Fingern die Tasten des Laptops drücke und diesen Text schreibe. An keinem anderen Ort findet mein Leben gerade statt.

 

Sind wir aber miteinander, und mit uns sind unsere mobilen Telefone und die bei manchen Menschen ständig aufploppenden Benachrichtigungen irgendwelcher Social-Media oder sonstigen Kanälen immer dabei, dann findet unser Leben nicht da statt, wo wir gerade sind. Unser Innenleben rebelliert, weil das, was viele online suchen – Bestätigung, Likes, sichtbar werden - geht im wirklichen Miteinander verloren.

 

Ist es nicht an der Zeit, dass wir uns wieder Sichtbarkeit schenken, wenn wir nebeneinander sitzen?

Einander aushalten in all unserer Andersartigkeit?

Neugierig sind, auf die Haltung, Meinung und Erfahrungen des Anderen?

Erkennen, dass wir eine bestimmte Klarheit des anderen nicht mögen können, doch den Menschen an sich sehr lieben und schätzen?

Zusammen lachen, quatschen, Dinge erledigen und erleben und einfach nur sein?

 

Mir wird zunehmend bewusster, wie sehr ich mein Leben im echten Leben liebe. Egal ob es im Gleichklang mit anderen, oder kontrovers ist. Ob es sich gerade leer anfühlt oder mit Fülle überschwemmt ist. Ich kann Schreiben, in meine Papierpoesie abtauchen, oder mich austauschen mit anderen und finden was in mir ist. Da ist manches Mal eine große Traurigkeit über eine, in meinen Augen, völlig ver-rückte Welt.

Ein anderes Mal ist da eine große Freude über mein Leben am Meer, den Mut diesen Schritt gegangen zu sein. Eine große Erleichterung mich aus Krankheiten und ungesunden Lebensumständen befreit zu haben. Dankbarkeit darüber, dass ich in Liebe getragen aufwachsen durfte und es Menschen in meinem Leben gibt, die mich lieben – meinetwegen.

Da ist auch Angst, vor dem ganzen Wahnsinn, den missbrauchte Macht und eine moralisierte Gesellschaft, sichtbar macht.

 

Manchmal werde ich fast nostalgisch und wünsche mir die Zeit ohne die ganzen mobilen Endgeräte zurück. Natürlich wissend, dass dies Blödsinn ist und es in jeder Generation Dinge gab, die sie gerne zurückdrehen würden. Und um einem ABER vorzubeugen, natürlich nutze ich u.a. das Videotelefonieren mit meinem Mobiltelefon selber. Ich liebe es, Freundinnen Sprachnachrichten zu schicken, so wie ich ihnen früher schon die Anrufbeantworter voll gequatscht habe.

Und dennoch: die Zeit, die jeder von uns – einer mehr als der andere – damit verbringt, sich selber im Umgang mit dem ganzen online und Social-Media-Zeug zu regulieren, die wäre vielleicht sinnvoller verbracht, wenn wir sie mit uns selbst und/oder anderen Menschen verbringen würden. Klarer statt verführbar.

 

Und im wahrsten Sinne des Worte voller Sinne – sinnvoll eben.

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