Anerkennung der Differenz

Vor ein paar Tagen habe ich einen Vortrag gehört von Jeanette Fischer, einer schweizerischen Psychoanalytikerin. Ein wesentlicher und für mich ein ganz wunderbarer Satz aus diesem Vortrag war dieser:

 

Wir müssen die Differenz des Anderen anerkennen und aushalten.

 

Es klingt so einfach und doch scheint dies eine Mammutaufgabe zu sein. In Partnerschaften, Familien, Freundschaften, zwischen Kollegen und der gesamten Gesellschaft.

 

Wieso fällt es oft so schwer die Andersartigkeit, den Unterschied des Anderen anzuerkennen?

Ich frage mich, was es vorher erst noch braucht, bevor eine Anerkennung der Differenz möglich ist?

Zuerst einmal muss diese Differenz gesehen werden, ich muss genau hinschauen. Ich brauche Mut um mir anzuschauen, was ist anders an meinem Partner, meinem Kind, meiner Freundin. Mut, weil ich diese Differenz vielleicht nicht möchte, weil ich das, was dahintersteht nicht teile. Mut, weil sie – diese Differenz - mir vielleicht zeigt was ich nicht sehen kann oder möchte.

Mut, weil ich vielleicht auch erkenne, dass wir auf unterschiedlichen Wellen schwimmen.

Ist es denn wichtig immer die gleiche Welle zu schwimmen? Oder ist es genau das, das Sehen, Aushalten und im nächsten Schritt Anerkennen der Differenz, der Unterschiedlichkeit, was Miteinander lebendig sein ausmacht?

 

Ich glaube was es zudem noch braucht ist ein liebender Blick.

Ein Blick der die Differenz des Anderen liebevoll sieht.

 

Wie kann man auf die Idee kommen, jemanden wegen einer persönlichen Meinung, Haltung, Entscheidung zu ignorieren, zu beschimpfen, auszugrenzen, vor anderen schlecht zu machen, wenn man sich den anderen Blickwinkel wirklich mal ansieht?

Wieso glaubt der Eine, seine Differenz sei richtiger als die des Anderen?

Wieso fällt es in Beziehungen oft so schwer von der Differenz zu profitieren?

 

Ein großer Drang zum Konformismus hat in unsere Gesellschaft Einzug erhalten. Dabei geht es weniger ums Allgemeinwohl oder gar Solidarität. Es geht in meinem Augen häufig darum, Verantwortung abzugeben, denken zu lassen und am Ende fast immer darum, dazu gehören zu wollen.

Wenn das der Antrieb im Leben ist, dann ist eine Anerkennung der Differenz des Anderen kaum möglich. Denn bei diesem Antrieb erkennt derjenige seine eigene Differenz nicht an. Dann ist er oder sie damit beschäftigt dazu zugehören, den Anderen zu gefallen, in Harmonie zu leben, nicht aufzufallen und für all das zu hoffen, geliebt zu werden. Von den Anderen! Doch ist dies Selbstliebe und ein Anerkenntnis meiner Selbst? Sind es meine Werte, oder die der Anderen?

 

Manchmal ist es wirklich nur ein Aushalten der Differenz des Anderen, weil ich kaum etwas teile von dem wie der Andere auf die Welt blickt, wie er handelt oder gar fühlt. Ist es aber nicht unsere Pflicht dies auszuhalten? Hinzuhören? Zuzuhören? Gehört dies nicht zum Mensch sein dazu?

Fällt es nicht vielleicht deshalb manchmal schwer die Differenz des Anderen anzuerkennen und zu sehen, weil es mehr mit uns selbst zu tun hat, als wir eigentlich glauben und wahrhaben möchten?

Es ist leichter jemand anderen verantwortlich zu machen, als Eigenverantwortung zu übernehmen.

Würden wir in die Eigenverantwortung kommen, gäbe es keine „Schuldigen“ mehr. Dann säßen wir miteinander wirklich alle im gleichen Boot - als Mensch. Und wer Verantwortung übernimmt, der kann zu jedem Zeitpunkt dazu stehen, was er entschieden hat, wie er gefühlt hat. Es gibt weniger Verrat am Selbst und damit auch keine Leugnung des Selbst. Daraus folgt die Anerkennung der eigenen Differenz und natürlich dann auch die des Anderen.

 

Die Anerkennung der Differenz mit einem liebenden Blick – ein guter Weg für gesunde Beziehungen auf Augenhöhe und eine große Chance für eine Gesellschaft, die miteinander heilen muss und hoffentlich wieder lebendig sein möchte.

 

Kennst du ein paar deiner Antworten auf diese Fragen?

Welche Gedanken kommen dir zu diesem Thema?

Was denkst du über die Differenz des Anderen?

Wenn du Lust hast, lass einen Kommentar da oder schicke mir eine E-Mail mit deinen Gedanken.

Ich freue mich über Austausch und Differenz!

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Kommentare: 1
  • #1

    Sabine (Dienstag, 15 November 2022 10:43)

    Sehr interessant, genau das passiert gerade bei uns in einer Freundinnengruppe. Und genau so sehe ich es auch. Jeden so auch zu lassen wie sie ist und es so anzunehmen, und vor allem ehrlich seine Meinung zu äußern auch wenn es für die andere vielleicht nicht so richtig ist. Sie aber auch liebevoll weiter damit gehen lassen. Genau das wünschen wir uns ja auch für uns. Jede darf für sich entscheiden welcher Weg der Richtige ist und dann können wir auf Augenhöhe entweder weiter machen oder andere Wege beschreiten.
    Vielen Dank für deine Gedanken